Ein Jahr linke Regierung in Kolumbien – Versuch einer Analyse

Seit reichlich einem Jahr regiert in Kolumbien eine linksgerichtete Regierung unter Präsidenten Gustav Petro. Wollen wir uns ins Gedächtnis bringen welche Ziele sich diese Regierung gestellt hat.

Kolumbiens Präsident Petro kündigte zum Amtsantritt an, soziale Bewegungen sollten nun an Entscheidungsprozessen beteiligt werden. Er will die Armut und die Korruption bekämpfen und verspricht mehr soziale Gerechtigkeit. Zusammengefasst waren die Eckpunkte seines Wahlprogrammes der “umfassende Frieden“. Verwirklichung der Agrarreform, die im Friedensabkommen mit der FAC-Guerilla vereinbart und bisher verhindert wurde. Grundlegenden Umbau der ökonomischen Strukturen des Landes sowie, eine Steuerreform. Dazu stellte der Präsident den Entwicklungsplan für 2022 bis 2026 vor.

Den Wahlsieg konnte er nur erringen, indem er es schaffte ein breites Bündnis aller progressiven aller progressiven Kräfte des Landes zu schaffen und dabei liberale Parteien und Bewegungen einzubinden. Dieses Bündnis fand seinen Ausdruck in der Zusammensetzung der Regierung. Der Historischer Pakt (PH) und seine linken Verbündeten verfügen über keine parlamentarische Mehrheit. Petro hatte deshalb bei seinem Amtsantritt im August vergangenen Jahres die Führung mehrerer Ministerien, Politiker anderer Parteien oder parteilosen Kandidaten übertragen. So wurden Vertreter der Liberalen Partei (Partido Liberal Columbiano, SPS), Kolumbianische Konservative Partei (Partido Conservador Columbiano, PCC) und Soziale Partei der Nationalen Einheit (Partido Social de Unidad Nacional, PSUN) in hohe Ämter der Regierung gehoben und als Minister ernannt.

Von Anfang an war klar, dass eine enorme Aufgabe durch diese Regierung zu bewältigen ist. Obwohl Kolumbien als „älteste Demokratie Lateinamerikas“ gilt, ist das Land geprägt von Bürgerkrieg, sozialer Ungleichheit, Korruption und Polizeigewalt. Besonders durch den rechtskonservativen Präsidenten Iván Duque kam es in den Jahren 2019 bis 2021 zu massiven gewalttätigen landesweiten Protesten mit vielen Todesopfern. Die Erwartungen waren deshalb enorm hoch, endlich dem Land, den erhofften sozialen Frieden zu bringen. Das wusste auch die neu gebildete Regierung und ging mit hohem Tempo an die zu erledigenden Aufgaben.

Politische Situation

Nach anfänglichen Erfolgen steckt die Regierung Kolumbiens jetzt in einer Krise. Ihre Reformen kommen nicht voran. Die Unterstützung der Bevölkerung nimmt spürbar ab. Das liegt zum einen Teil darin das sich die Regierung durch mehrere internen Skandale unglaublich macht. So mussten am 2.Juni die Kabinettchefin Laura Sarabia und Armando Benedetti, Botschafter Venezuelas zurücktreten, nachdem öffentlich bekannt geworden war, dass sie gegeneinander einen rücksichtslosen Machtkampf führen. Unter anderem ging es um illegales Abhören und Wahlkampfspenden dubioser Herkunft.

Auf der anderen Seite versuchen, die an der Regierung beteiligten, konservativen Parteien die Reformvorhaben massiv zu verhindern. Ende April mussten sieben Minister gehen. Der Auslöser war Uneinigkeit im Kabinett über eines ihrer Kernvorhaben, die Gesundheitsreform.

Ein weiterer Punkt ist, dass reaktionäre Kräfte, Regulierungsbehörden, mächtige Medien und die Justiz nutzen, um die Reformen der Regierung Petro zu stoppen. So wird den Generalstaatsanwalt Francisco Barbosa und der Generalstaatsanwältin für Verwaltungsangelegenheiten, Margarita Cabello, vorgeworfen, ungerechtfertigte Ermittlungen gegen Kongressmitglieder des linken Bündnisses Historischer Pakt zu führen, die zu deren Absetzung führen könnten. Solche Ermittlungen werden gegen die Senatoren Alex Flórez und Alexander López, sowie gegen den Präsidenten des Abgeordnetenhauses David Racero, die Abgeordnete Susana Gómez und die Senatorin und Mitglied der Friedensdelegation, María José Pizarro, durchgeführt. Beide Staatsanwälte gehören dem extrem rechten Lager an.

Stand der Bodenreform

Eins der Kernreformvorhaben neben der Beendigung des bewaffneten Konfliktes ist eine neue Agenda der Agrarpolitik. Beides ist eng miteinander verknüpft und kann nur gemeinsam gelöst werden.

Die Landverteilung ist eines der ungerechtesten der Welt. Der Landbesitz konzentriert sich in den Händen von wenigen. 2014 schätzt die Entwicklungsorganisation Oxfam das ein Prozent der Grundbesitzer, 81 Prozent der Landfläche in Kolumbien kontrolliert. Interessant dabei ist das die restlichen Prozentete Kleinbauern 80 Prozent der Agrarprodukte produzieren. Deutlicher gesagt, es werden nur 20 Prozent von den fruchtbaren Böden für die Lebensmittelproduktion genutzt. Dagegen werden Millionen von Tonnen Lebensmittel importiert. Das Land könnte sich locker selbst ernähren.

Die Ungleichheit der Landverteilung wurde in den letzten Jahren noch gesteigert, indem gewaltsam die Bewohner von ihrem Boden vertrieben wurden. Man schätzt das mindestens 8 Millionen Menschen, davon zwei Drittel aus dem ländlichen Gebiet als Binnenvertriebene gelten. Durch diese Flucht schätzt man das 8,3 Millionen Hektar Land gewaltsam umverteilt wurde. Neue Eigentümer sind die Großgrundbesitzer und Bergbauunternehmen.

Seit Jahrhunderten hat sich eine sehr starke Lobby de Großgrundbesitzer herausgebildet. Hinter dieser extrem rechten Gruppierung steckt sehr viel Einfluss, Macht und Geld. Dieser Gruppe kann man nicht einfach das Land wegnehmen ohne Gefahr zu laufen das es zu einer Ausweitung des Bürgerkrieges kommt oder wahrscheinlicher zu einem gewaltsamen Umsturz.

Hier kann man der Regierung Petro sehr viel Fingerspitzengefühl bescheinigen. Die historische Vereinbarung mit dem ultrakonservativen Dachverband der Viehzüchter Fedegán, gibt drei Millionen Hektar für den Verkauf an die Regierung frei. Das ist zwar mit einem fahlen Geschmack verbunden, wenn man daran denkt, dass dies geklautes Land. Zurzeit aber die beste und effektivste Lösung. Weiteres Land stammt von Beschlagnahmung bei Drogenbossen.

So konnte die Regierung von Gustavo Petro als Auftakt rund 3.500 Hektar Land im März im Wert von 22 Milliarden Pesos (circa 4,4 Millionen Euro) an knapp 6.200 Familien vergeben. Neben landlose Bauern und ehemaligen bewaffneten Kämpfer profitieren davon hauptsächlich indigene Gemeinschaften. Nach offiziellen Angaben hat die Regierung mittlerweile Landtitel für eine Million Hektar überreicht und will weitere 500.000 Hektar in diesem Jahr legalisieren.

Totaler Frieden

Nur vier Tage nach seinem Amtsantritt hat Kolumbiens Präsident Gustavo Petro seiner Ankündigung, den „totalen und integralen Frieden“ anzustreben, konkrete Taten folgen lassen: Er erließ am 20. August 2022 ein Dekret, mit dem er die Haftbefehle und Auslieferungsgesuche gegen die in Kuba weilenden ELN-Friedensunterhändler aussetzten und revalidierte die bereits 2016 unterzeichneten Protokolle. Damit konnte ein Dialog mit der ELN wieder aufgenommen werden. Außerdem lud er auch die paramilitärischen Gruppen zu Verhandlungen mit der Regierung ein. Schloss eine Auslieferung an die USA aus, im Falle ernsthafter Gespräche.

Leider gehen die Verhandlungen mit den für den „Totalen Frieden“ nur schleppend voran. So ist es sehr schwierig die unterschiedlichsten bewaffneten Organisationen und Gruppen zu einem Waffenstillstand zu bewegen und an einem gemeinsamen Tisch zu führen. Die Einbeziehung von Dissidenten stellt von Anfang an eine der größten Herausforderungen für einen umfassenden Frieden dar. Dies ist in erster Linie zurückzuführen auf die unübersichtlichen Strukturen dieser illegalen Gruppen. So stört der anhaltende Machtkampf zwischen ELN und den FARC-Dissidenten die Friedensgespräche.

Neben den politischen Friedensprozessen will die Regierung auch mit den größten kriminellen Organisationen, wie etwa den „Golfclan“ Friedensgespräche führen. Diese mafiösen, paramilitärischen Strukturen, gewinnen immer weiter an Einfluss im Land und terrorisieren die Zivilbevölkerung. Es wurden mehrere Feuerpausen vereinbart, die aber durch zu nehmend schwieriger Sicherheitslage und anhaltender Kritik von der Regierungsseite beendet wurde.

Petro ist seit seinem Amtsantritt laufenden Kritik seitens seiner Gegner ausgesetzt, die ihm vorwerden, „zu lax“ mit den Rebellen umzugehen und die Operationen der Sicherheitskräfte zu behindern. Diese Kritik versucht der Staatschef zu widerlegen, indem er anlässlich des 20. Juli, in seiner Rede zum Unabhängigkeitstag ausführte, „Frieden sei keine bloße Verhandlung zwischen bewaffneten Gruppen, sondern eine nationale Vereinbarung der gesamten Gesellschaft“. Zudem legte er einen Rückgang der Opferzahlen vor, der im Vergleich zum Vorjahr um 60 Prozent bei der Armee und 55 Prozent bei der Polizei betrage.

Zwischen den Verhandlungspartnern kam es seit Jahresbeginn immer wieder zu Turbulenzen. Zuerst kündigte Präsident Petro eine sechsmonatige bilaterale Feuerpause an, was anschließend von der ELN-Guerilla dementiert wurde. Anfang März tötete das kolumbianische Militär zudem einen der führenden Köpfe der aktiven ELN-Guerilla, Comandante Rivas. Ferner drängen die Rebellen am Verhandlungstisch weiterhin darauf, rechtlich als bewaffnete politische Rebellenorganisation eingeordnet zu werden. Dies könnte unter anderem zur Folge haben, dass erstmals die in Kolumbien vorherrschenden sozialen Strukturen offiziell als Ursache des mehr als 50 Jahre andauernden bewaffneten Konflikts anerkannt würden.

Nach mehreren in Stocken gerade Gespräche zwischen Regierung und ELN, scheinen diese Gespräche Mitte Juli erhebliche Fortschritte erreicht zu haben. Die Verhandlungspartner haben, neben die bereits Vereinbarten neun weiteren Protokolle unterzeichnet. Diese zielen darauf ab, die Bevölkerung in die Verhandlungen mit der größten Rebellengruppe des Landes einzubeziehen und die Einhaltung des bereits unterzeichneten Waffenstillstands zu gewährleisten.

Mittels vier Phasen soll bis Mai 2025 ein endgültiger Friedenspakt erreicht werden. Phase eins wird in diesem Monat beginnen. Zur Überwachung des Waffenstillstands wurde ein Mechanismus geschaffen, der die Situation alle zwei Monate auf regionaler und lokaler Ebene auswertet und potenzielle Gefahren frühzeitig erkennen soll. Es sollen zunächst 15 nationale und neun regionale Zusammenkünfte stattfinden. Ziel ist es, Vorschläge aus der Bevölkerung zu sammeln, um diese am Verhandlungstisch mit der Guerilla einzubringen. Das 22-seitige Dokument legt die Arbeitsweise des Komitees, die Art der Beteiligung der Zivilgesellschaft und den Zeitplan der Zusammenkünfte fest. Der Ausschuss setzt sich aus 81 Vertretern von 30 sozialen Bewegungen und Gewerkschaften zusammen, die im Rahmen von Workshops, Treffen und weiteren Aktivitäten Vorschläge und Empfehlungen für die Ausarbeitung des Nationalen Beteiligungsplans sammeln werden. Zeitnah sollen auch offizielle Dialoge zwischen den Dissidentengruppen der ehemaligen Farc-Guerilla sowie den kriminellen Strukturen der Hafenstadt Buenaventura und der Regierung beginnen. (Die Situation der größten Hafenstadt am Pacific mit ihren kriminellen Strukturen wäre ein weiteres interessantes Thema)

Gesundheitsreform

Die Gesundheitsreform ist eines der wichtigsten Versprechen des Paktes Historico. Ziel ist es das Private Krankensystem „Entidades Promotoras de Salud“ (EPS) in seiner jetzigen Form abzuschaffen.

In Kolumbien gibt es, wie auch in Deutschland, ein Krankenkassensystem, dem EPS. In diesem ist jeder Arbeitnehmer automatisch versichert. Die EPS verwaltet autonom das Geld, das aus den staatlichen Kassen und aus den Beiträgen der Versicherten in das Gesundheitssystem einfließt. Dieses System ist privatwirtschaftlich organisiert, also gewinnorientiert. Arbeitslose, Indigene und Arbeitnehmer ohne offiziellen Arbeitsvertrag können sich staatlich über „sisben“ versichern. Da gewinnorientiert müssen die kassenärztlichen Leistungen beantragt und genehmigt werden. Was Erhebliche Benachteiligung der Patienten führt. Viele notwendige Maßnahmen können gestrichen werden. Um die Patienten dagegen zu schützen, wurde die „tutela“ eingeführt. Ein Rechtsmittel, das es ermöglicht vor Gericht die notwendige, von der Krankenkasse abgelehnte Hilfe, einzuklagen. Was leider aus unterschiedlichsten Gründen nicht richtig funktioniert.

Große Nachteile dieses Gesundheitssystem sind die zwischengeschalteten Stellen bei der Finanzierung des Gesundheitswesens. Ziel ist es diese zwischengeschalteten Stellen abzuschaffen. Ein weiterer Schwerpunkt wird auf die Primärversorgung und Vorbeugung von Krankheiten gelegt. Alle Personen, ihre Familien und Haushalte sollen einem Integralen Zentrum für medizinische Grundversorgung entsprechend ihrem Wohnort zugewiesen werden

Die radikalste Änderung betrifft Verwaltung der öffentlichen Mittel. Die EPS, die massiv kritisiert wird, mit den Ressourcen im Gesundheitswesen zu spekulieren, um Geschäfte zu machen, werden diese Vermittlerrolle künftig nicht mehr wahrnehmen. Die „Verwaltung der Mittel des allgemeinen Systems der sozialen Sicherheit im Gesundheitsbereich“ (Adres) wird die Zahlungen direkt an Kliniken, Krankenhäuser, Labore und Apotheken leisten.

Zu den Änderungen gehört auch der Aufbau eines präventiven Systems. Es sollen medizinische Teams gebildet werden, die die entlegensten Teile des Landes erreichen. Sie müssten die dortigen Bewohner regelmäßig aufsuchen. Petro sagt, egal wie sie hinkommen, ob „mit dem Boot oder dem Leichtflugzeug“. Diese sollen den neuen Zentren für primäre Gesundheitsversorgung (Centros de Atención Primaria, Caps) zugeordnet werden. Für maximal 20.000 Personen in einer Region oder einem Stadtviertel soll ein Team zur Verfügung stehen.

Diese Reform ist ein Spiegelbild des verbitterten Kampfes zwischen den konservativen und neoliberalen Kräften mit den linken sowie gemäßigten Kräften. Der erbitterte Widerstand des neoliberalen Sektors führte zu einer ernst zu nehmenden Regierungskrise. Ihr war es nicht gelungen, sich innerhalb der Koalitionsparteien in der Regierung zu einigen, um die Gesundheitsreform durchzusetzen. Diese Streitereien waren ausschlaggebend für die Regierungsumbildung und Entlassung sieben Minister.

Nach erheblichen Differenzen der wurde Gesetzentwurf im siebten Ausschuss des Repräsentantenhauses angenommen. Jedoch stehen noch drei Debatten aus. Im Plenum der Abgeordnetenkammer und zwei im Senat der Republik.

Reformen des Arbeitsrechts

Das derzeitige Arbeitsrecht in Kolumbien gilt nur für Arbeitnehmer, die einen Arbeitsvertrag haben. 80 Prozent der erwerbstätigen Menschen in Kolumbien arbeiten im „informellen Sektor“. Sie verdienen ihren Lebensunterhalt in Unternehmen, die nicht tariflich gebunden sind, weder Steuern noch Sozialabgaben entrichten. Kündigungsschutz, bezahlter Urlaub oder Krankenversicherung kommen im Leben dieser Menschen nicht vor. Dazu kommt das in Kolumbien Frauen 20% weniger verdienen und häufig Gewalt und Belästigung am Arbeitsplatz ausgesetzt sind. Das Arbeitsministerium sammelte über 4.000 Vorschläge von verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen und Organisationen zur Arbeitsreform.

Daraus abgeleitet legt die Regierung ihre Arbeitsreform vor, die rund 22 Millionen Arbeitnehmer in ihren Rechten stärken soll.

Die Reform zielt unter anderem darauf ab, die Arbeitsverhältnisse von Personen, die ohne Vertrag oder als Scheinselbständige arbeiten, zu formalisieren. Die Formalisierung der Arbeit richtet sich insbesondere auf die hunderttausenden Landarbeiter, Fahrer von digitalen Lieferdiensten und Beschäftigten in Privathaushalten.

Der Gesetzentwurf bekämpft zudem ungerechtfertigtes Outsourcing. Mitarbeiter von Leiharbeitsfirmen müssen die gleichen Arbeitsbedingungen wie die Stammbelegschaft des Hauptunternehmens haben, wenn ihre Dienste mit der Haupttätigkeit des Hauptunternehmens zu tun haben. Das bedeutet auch das der Arbeitgeber dieselben Lohnleistungen und den Arbeitgeberanteil der Sozialversicherung leisten muss.

Ziel ist es auch mehr unbefristete Arbeitsverträge zu schaffen. Befristete Verträge werden von Arbeitgebern für sexuelle Belästigung ausgenutzt. „Dadurch, dass sie alle zwei Monate einen Vertrag unterschreiben müssen, um zu überleben, sind die Frauen zur sexuellen Belästigung durch die Arbeitgeber verurteilt worden“, sagte Präsident Gustavo Petro bei der Vorstellung des Gesetzentwurfs.

Das Gesetz soll auch die Rechte der Gewerkschaften stärken. Dieses umfasst Garantien über gewerkschaftliche Vereinigungen, Tarifverhandlungen und Streiks. Unter anderem erleichtert der Gesetzentwurf die Bedingungen, unter denen die Belegschaft einer Firma einen Streik erklären darf. Er schafft das Streikverbot für Beschäftigte im öffentlichen Dienst ab. Firmen dürfen Angehörige ihres Personals aufgrund der Teilnahme an einem Streik nicht mehr entlassen. Ramírez sagt das dies notwendig ist, nachdem Gewerkschaften Jahrzehnte lang Opfer von circa 50.000 gewalttätigen Aktionen gewesen sind. Die Rechte der Arbeitenden wurden in den letzten Jahren stark abgebaut. Bis 2022 war Kolumbien das tödlichste Land der Welt für Gewerkschaftsmitglieder.

Opposition und Massenmedien kritisieren die Reform der Regierung mit dem Argument, dass sie den Handlungsspielraum der Unternehmen beeinträchtige und sie gezwungen seien, Arbeitsplätze abzubauen. Der Widerstand ist sehr erheblich und die Reform konnte bisher noch nicht durch die entsprechenden Organe umgesetzt werden.

Steuerreform

Nach dreimonatigen Debatten hat das Parlament in Kolumbien die von der Regierung Gustavo Petro vorgeschlagenen Steuerreform die im Dezember 2022 zugestimmt und verabschiedet.

Die Körperschaftssteuer für Unternehmen bleibt bei 35%, jedoch werden zahlreiche Ausnahmen, Abzüge und reduzierte Steuersätze abgeschafft und ein Mindeststeuersatz von 15% eingeführt. Es gibt neue Aufschläge der KöSt. für Unternehmen der Finanz- und Versicherungsbranche, Kohleabbau, und Erdölgewinnung sowie Wasserkraftwerke. Einführung der Steuerpflicht für ausländische digitale Dienstleister mittels des neuen Konzepts der „bedeutenden wirtschaftlichen Präsenz“ (ab 2024). Erhöhung der Steuersätze für die Auszahlung von Dividenden. Einführung der Vermögenssteuer in drei Stufen, sowie einer neuen Steuer auf Einweg-Kunststoffverpackungen sowie auf ultraverarbeitete, gezuckerte Getränke und ultraverarbeitete Lebensmittel mit hohem Zucker-, Salz- oder Fettgehalt. Diverse Erleichterungen aufgrund der Covid-Krise laufen aus bzw. werden nicht weiter verlängert, darunter fallen z.B. Flugtickets, Hotels und Restaurants (Rückkehr zum Normal-Steuersatz von 19% MwSt. bzw. 8% Konsumsteuer). Ebenso wurden die 2021 eingeführten „Tage ohne MwSt.“ wieder abgeschafft.

Der Finanzminister José Antonio Ocampo bezeichnet diese Steuerreform als „die progressivste Steuerreform der Geschichte Kolumbiens“. Künftig werden Reiche, Kohle- und Erdölkonzerne sowie Dividenden stärker besteuert. Außerdem wird eine Vermögenssteuer eingeführt. Im Weiteren führte er aus, „das historische Gesetz“ soll dazu beitragen, die „riesige soziale Schuld zu begleichen, den Hunger zu beseitigen, Armut und Ungleichheit sowie die Privilegien einiger weniger zu verringern“.

Man sollte dazu wissen, Kolumbien gehört zu den Ländern mit den niedrigsten Steuereinnahmen Lateinamerikas. Während der Durchschnitt bei 16 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) liegt, nimmt der kolumbianische Staat nur 13 Prozent des BIP durch Steuern ein. Das neue Regelwerk trat 2023 in Kraft. Dadurch erhöhen sich die Steuereinnahmen um 20 Billionen Pesos pro Jahr, was ca. 4 Milliarden Euro entspricht. Innerhalb der vierjährigen Amtszeit Petros bedeutet dies um die 80 Billionen (ca. 16 Milliarden Euro) Mehreinnahmen des Staates. Die Regierung will damit unter anderem ins Gesundheits- und Bildungssystem, in landwirtschaftliche Programme, in den sozialen Wohnungsbau und in die Unterstützung der kleinen Betriebe der unteren Schichten investieren.

Auch bei der Justiz- und Rentenreform stockt es. Petro hat mit seiner eigenen Partei keine Mehrheit und ist deswegen auf sein Verhandlungsgeschick und Bündnispartner angewiesen. Große Teile seiner fortschrittlichen Reformen sind vorerst gefährdet. Die Abgeordnetenkammer stoppten die Debatten zur Umgestaltung des Gesundheits- und Arbeitssektors. Die angestrebte Rentenreform wurde nicht suspendiert

Präsident Petro versprach der krisengebeutelten Bevölkerung mit seinem Amtsantritt im vergangenen August einen historischen Wandel. Doch der Reformprozess stockt. Die Regierung hat sich für ihr erstes Amtsjahr fast unlösbare Aufgaben gestellt Er will das Land wirklich befrieden und mit den Gewaltakteuren aller Gruppierungen gleichzeitig Frieden schaffen, er will das Wirtschafts- und Sozialsystem komplett auf den Kopf stellen. Die ungerechte Landverteilung als traditionelle Ursache des jahrzehntelangen Bürgerkriegs, endlich gerechter machen. Zu guter Letzt will er auch noch die Lösung des Konflikts im Nachbarland Venezuela einleiten. Was er sich in nur zwölf Monaten vorgenommen hat, schaffen andere Regierungen nicht annähernd in mehreren Amtszeiten.

Die Gewerkschaften unterstützen diese Regierung. Es ist aber auch so, dass die Regierung es niemandem recht machen kann, da sie nur über eine begrenzte Macht verfügt. So gerät sie unter Druck von Seiten der Bevölkerungsmehrheit, die sich schnellere Verbesserungen für ihr Leben erhoffen. Diesen Menschen gehen die Veränderungen nicht schnell genug. Andererseits steht die Regierung unter dem politischen Feuer der alten und immer noch mächtigen Eliten, die starr an ihren Privilegien und ihrem Reichtum festhalten. Eine sehr brenzliche Situation mit offenem Aufruf zum Staatsstreich.

Nüchtern betrachtet hat der Präsident und seine Regierung keine andere Wahl als zu akzeptieren das seine Reformpläne eine gemäßigtere Position einnehmen und größere Kompromisse eingehen muss. Was vermutlich dazu führt, dass seine Beliebtheit in der Bevölkerung nachlässt. Trotz dieser Probleme hat Peto nach wie vor durch seinen persönlichen Einsatz und seiner Vizepräsidentin Francia Márquez großen Rückhalt in der Bevölkerung. Das kann aber sehr schnell ins Gegenteil Umschlagen

Fassen wir alle in einem Satz zusammen. Die Reformen der Regierung in Kolumbien kommen nicht voran und nach anfänglichen Erfolgen steckt diese in der Krise.

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